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Blockchain

Die Blockchain macht es möglich, Besitzverhältnisse von virtuellem Eigentum eindeutig festzuhalten und die Ansprüche frei zu handeln. Eine zentrale Instanz ist nicht mehr nötig. Wie sich diese Technologien auf die Wirtschaft und die Gesellschaft auswirken, untersucht das Center for Innovative Finance (CIF) der Universität Basel. Die Forschungsstelle wird durch Credit Suisse Asset Management mit einer Professur für «Distributed Ledger Technology (Blockchain) / FinTech» unterstützt.

19. September 2019

Prof. Dr. Fabian Schär

Managing director and professor at the Center for Innovative Finance (CIF), University of Basel

Sicherheit, Effizienz, Zuverlässigkeit – dies sind seit jeher die Kriterien, nach denen Zahlungs- und Transaktionssysteme beurteilt werden. Um sich durchzusetzen, muss ein neues System in mindestens einer dieser Dimensionen eine Verbesserung bieten. Bargeld war besser als Tauschhandel, weil die Handelspartner nicht mehr darauf angewiesen waren, dass beide Parteien genau das hatten, was die jeweils andere Partei haben wollte. Kredit- oder Debitkarten sind oft effizienter als Cash, da Zahlungen elektronisch verarbeitet werden und dementsprechend nicht eine örtlich beschränkte Übergabe voraussetzten. Zudem führt ein Abhandenkommen der Kredit-/Debitkarte nicht automatisch zum Verlust von Guthaben – ein wesentlicher Vorteil gegenüber dem Bargeld. Ähnliches gilt für Banküberweisungen, die sich gerade für grössere Beträge durchgesetzt haben.

So effizient diese elektronischen Zahlungssysteme aber auch sind, sie haben einen entscheidenden Nachteil. Alle Transaktionen müssen jeweils an einem zentralen Punkt verarbeitet werden. Dies ist notwendig, um sogenannte «Double Spends» zu verhindern – also den Fall, in welchem eine Person elektronisches Geld mehrfach auszugeben versucht. Bei physischen Zahlungsmitteln wie Bargeld gibt es dieses Problem nicht, da jede Münze und jeder Geldschein nur einmal existiert und die Werteinheit mit dem Objekt auf den neuen Besitzer übergeht. Elektronische Daten können hingegen beliebig oft kopiert werden. Stellen Sie sich beispielsweise vor, es gäbe eine Gelddatei, welche Sie als E-Mail-Anhang versenden könnten. Analog zu Word- oder Musikdateien könnten auch von der Gelddatei beliebig viele Kopien erstellt und die Kopien an verschiedene Personen versendet werden. Geld wäre beliebig vermehrbar und dadurch wertlos. Wird hingegen eine zentrale Datenbank geführt, können die elektronischen Kontostände der teilnehmenden Personen eindeutig angepasst und dadurch verhindert werden, dass jemand mehr ausgeben kann, als er tatsächlich besitzt oder seine Limite zulässt.

Lassen Sie mich an dieser Stelle festhalten, dass zentralisierte Datenbanken sehr effizient sind. Stand heute werden Sie kein wirklich dezentralisiertes System finden, das mit der gleichen Geschwindigkeit und Effizienz funktioniert. Diese Effizienz der zentralisierten Systeme setzt aber grosses Vertrauen voraus. Hat jemand exklusiv die Möglichkeit, eine Datenbank zu führen und über den aktuellen Zustand zu entscheiden, muss diese Person vertrauenswürdig sein – sonst handelt man sich erhebliche Probleme ein. Kontrolliert jemand die Datenbank, könnte diese Person theoretisch Guthaben beschlagnahmen, Transaktionen zensieren oder bestimmte Personen komplett ausschliessen. In der Schweiz sind solche Szenarien glücklicherweise kein Thema und wirken weit hergeholt. Man sollte sich aber bewusst sein, dass für alle diese Punkte geografische und historische Beispiele existieren. Zudem können Angriffe auch von Dritten ausgehen und zentralisierte Datenbanken einen verletzlichen Punkt in einem Gesamtsystem darstellen – einen sogenannten «Single Point of Failure». Gelingt es einem Angreifer, einen zentralen Knoten im System lahmzulegen, kann dies weitreichende Konsequenzen haben.

Die Blockchain setzt genau an diesem Punkt an. Die Technologie ermöglicht das gemeinschaftliche Führen einer Datenbank. In öffentlichen Netzwerken kann jeder Teilnehmer eine Kopie dieser Datenbank halten und sämtliche Einträge selbstständig auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Ein raffiniertes Anreizsystem führt dazu, dass es im Interesse eines jeden Teilnehmers ist, die eigene Datenbank nach den gemeinschaftlichen Regeln weiterzuführen. Dadurch bleiben die verschiedenen Datenbanken im Einklang und es besteht stets ein Konsens darüber, welche Transaktionen gültig sind. Nimmt eine Person an der eigenen Kopie der Datenbank Änderungen vor, welche nicht regelkonform sind, kann diese Version von den anderen Netzwerkteilnehmern sofort als ungültig identifiziert und dementsprechend ignoriert werden. Da keiner der Netzwerkteilnehmer eine privilegierte Rolle einnimmt und die Daten überall gespeichert werden, besteht kein Klumpenrisiko wie in zentralisierten Systemen. Jeder Teilnehmer ist ersetzbar und die Netzwerkverbindungen können sich dynamisch anpassen, wenn einzelne Teilnehmer wegfallen sollten.

Interessanterweise existieren die Bestandteile der Blockchain-Technologie schon seit vielen Jahren. Dezentrale Peer-to-Peer-Netzwerke sind keineswegs ein Novum. Dasselbe gilt für die Public-Key-Kryptografie und die Hashfunktionen, die für die Überprüfung der Transaktionen und zur Erreichung eines Konsens verwendet werden. Neu ist aber die Art und Weise, wie diese Technologiekomponenten miteinander verknüpft und zu einem Gesamtsystem zusammengefügt wurden. Erst durch diese Verknüpfung wurde es möglich, virtuelle Werteinheiten komplett eigenständig zu halten – mit allen Vor- und Nachteilen.

Dezentralisiertes Netzwerk

Mit grosser Kraft folgt grosse Verantwortung

Vor- und Nachteile liegen dabei sehr nahe beieinander. Verwahrt jemand seine Werteinheiten selbst, kann er komplett eigenständig über sein Vermögen verfügen. Werteinheiten können direkt von A nach B übertragen werden, ohne dass dafür eine Kette mit mehreren Intermediären benötigt wird – 24/7 versteht sich und meist innert weniger Minuten. Im Vergleich zu Systemen, die nur während Bürozeiten und oft mit t+2 abgewickelt werden, ein interessanter Aspekt.

Mit dieser Autonomie folgt aber auch grosse Verantwortung. Geht nämlich der eigene Zugangsschlüssel, der sogenannte «Private Key», verloren oder gerät dieser in die Hände einer Drittperson, sind die Krypto-Werteinheiten unwiderruflich weg. Dies führt dazu, dass viele Personen ihre Krypto-Assets bei Anbietern von Verwahrungsdienstleistungen lagern, was dem allgemeinen Geist der öffentlichen Blockchain widerspricht.

Sicherlich begrüssenswert ist die Tatsache, dass die Eigentümer dank der Blockchain eine Wahl haben. Sie können frei entscheiden, ob sie solche Verwahrungsdienstleistungen in Anspruch nehmen oder aber die Krypto-Assets selbst verwalten. Für virtuelle Werteinheiten stellt dies ein Novum dar. Gerade im Kontext der Diskussion rund um die Systemrelevanz einzelner Unternehmen kann diese Technologie Abhilfe schaffen.

Blockchain aus Anlegersicht

Blockchains können aber auch für andere Zwecke genutzt werden. So ist es beispielsweise möglich, dass Unternehmen Krypto-Werteinheiten, sogenannte Token, herausgeben, die Wertpapiere repräsentieren. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie halten Ihre Wertpapiere eigenständig in Ihrer Krypto-Wallet. Dividenden und Zinsen werden automatisch ausgeschüttet. Beim Handel haben Sie die Wahl aus einer Vielzahl von Tauschbörsen – einige davon auch wieder komplett dezentralisiert, basierend auf autonomen Smart Contracts. Allfällige Stimmrechte sind mit dem Token verknüpft und können mittels einer elektronischen Signatur ausgeübt werden – schnell und sicher versteht sich.

Im Unterschied zu Kryptowährungen unterliegen solche Tokens einem Emittentenrisiko. Nichtsdestotrotz können bei der Übertragung und Verwahrung auch solche Krypto-Werteinheiten erheblich von einer Dezentralisierung profitieren. Denn auch hier gilt, dass die Option der Eigenständigkeit aus ökonomischer Sicht absolut begrüssenswert ist und eine Dezentralisierung zu robusteren Systemen führt.

Hinzu kommt, dass die Tokenisierung weit über die klassischen Wertpapiere hinausgeht. Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass ein Museum 1’000’000 Token erstellt, welche ein Teileigentum an einem Gemälde repräsentieren. Anleger hätten plötzlich die Möglichkeit kleinste Anteile verschiedenster Anlagen zu erwerben und das eigene Portfolio in bisher unvorstellbarem Masse zu diversifizieren. Das Museum könnte die neuen Mittel wiederum zum Erwerb von weiteren Kunstobjekten verwenden. Ähnliches wäre mit Solaranlagen, einem Fussballverein, also eigentlich so ziemlich allem, denkbar – und auch wenn viele dieser Visionen Gesetzesanpassungen voraussetzen, wage ich die These, dass wir nicht mehr allzu weit von einer Zukunft entfernt sind, in der eine Vielzahl neuer Anlageklassen entstehen und tokenisiert werden.

An dieser Stelle möchte ich aber ein Wort der Warnung aussprechen. Die Blockchain wird oft als Allzweckwaffe dargestellt und die Technologie für alle möglichen Dinge zweckentfremdet, für welche sie absolut ungeeignet ist. Das ist sehr bedauerlich und führt mitunter zu Frustration über die Technologie, wenn die Leute begreifen, dass sie die Blockchain in diesem Kontext nicht hätten verwenden sollen. Diese Projekte sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus sinnvolle Blockchain-Anwendungen gibt und die Technologie sehr hohes Potenzial hat, unter der Voraussetzung, dass sie korrekt eingesetzt wird. Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass die Breite der Anwendbarkeit der Blockchain heute deutlich überschätzt wird, während der Effekt, den die Blockchain auf jene Bereiche hat, in welchen sie erfolgreich eingesetzt werden kann, deutlich unterschätzt wird.

Center for Innovative Finance

Die Forschungsstelle «Center for Innovative Finance» (CIF) der Universität Basel widmet sich der Erforschung von praxisrelevanten Fragestellungen in den Bereichen Fintech, Digital Banking und Innovative Finance. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der wissenschaftlichen Analyse und der praktischen Umsetzung von Blockchain-Projekten, Innovationsfinanzierungen und innovativen Finanzlösungen.
 
In der Forschungsarbeit legt das CIF grossen Wert auf eine ganzheitliche und interdisziplinäre Analyse. Die Professoren Aleksander Berentsen, Heinz Zimmermann, Pascal Gantenbein und Fabian Schär (im Bild) sind für die wissenschaftliche Leitung verantwortlich. Geschäftsleiter ist Fabian Schär. Seine Professur für «Distributed Ledger Technology (Blockchain) / FinTech» ist von Credit Suisse Asset Management gestiftet. Zudem ist er Vorstandsmitglied der bundesrätlichen Taskforce «Swiss Blockchain Federation». Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf interdisziplinären Analysen von Smart Contracts, der Tokenisierung von Assets und möglichen Anwendungen der Blockchain-Technologie. Fabian Schär ist Co-Autor mehrerer Publikationen, darunter auch des Bestsellerbuches «Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets». Das Buch wird zurzeit ins Englische übersetzt und wird bei MIT Press erscheinen.

Scope - das Magazin

Die in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachten Sichtweisen und Standpunkte sind jene des/der Verfasser(s) und stellen nicht die Sichtweisen der Credit Suisse dar. Die im Artikel zugrunde gelegten Annahmen spiegeln nicht die Position der Credit Suisse wider und können jenen der Credit Suisse widersprechen.