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Ganzheitliches Denken. Wichtiger denn je.
Burkhard Varnholt über die Rahmenbedingungen für ESG-Anlagen und die Ziele der UN-Agenda 2030.
15. Februar 2019

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Burkhard Varnholt über die Rahmenbedingungen für ESG-Anlagen und die Ziele der UN-Agenda 2030.
15. Februar 2019
«Man kann halt nicht alles haben», höre ich oft im Gespräch mit Geschäftspartnern oder im Freundeskreis. Die Äusserung wirkt auf mich zwiespältig. Einerseits kann eine Haltung des Verzichts durchaus sinnvoll sein. Wer teilt statt besitzt (sharing economy), trägt zur Schonung der Ressourcen bei und vereinfacht sich das Leben. Andererseits hat die Aussage, man könne nicht alles haben, etwas Resignierendes. Man verzichtet von vornherein auf eine optimale Lösung, die unterschiedliche Ansprüche verschiedener Stakeholders erfüllen könnte.
Dürfen Investoren alles haben wollen? Die Antwort ist «ja». Investoren sind gefordert, sich nicht mehr ausschliesslich mit dem ökonomischen Nutzen zu befassen, sondern auch die ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance – Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung) zu berücksichtigen. Anschlussfrage: Hat der Homo oeconomicus damit ausgedient? Dieser in der Wirtschaftswissenschaft verwendete Menschentyp zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, dass er eine Gewinnmaximierung anstrebt und seine Entscheide rational diesem Ziel unterordnet.
Um es vorwegzunehmen: Der Homo oeconomicus bleibt uns erhalten, denn ohne angemessene Renditen und langfristige Wertsteigerungen ist unser Wirtschafts- und Sozialsystem zum Kollaps verurteilt. Er muss jedoch seinen Horizont erweitern. Die Zielfestlegung wird vielschichtiger, anspruchsvoller − und spannnender.
Eigentlich ist der begrüssenswerte Trend zu Investitionen nach ESG-Kriterien nicht neu. Ganzheitliches Denken ist eine zeitlose Tugend. Dies lässt sich an der Geschichte der Credit Suisse gut aufzeigen. Schon Alfred Escher war von der Idee beseelt, die Schweiz auf verschiedenen Ebenen voranzubringen. Er gründete 1854 das Eidgenössische Polytechnikum (heute ETH) und 1856 die Schweizerische Kreditanstalt (der Vorläufer der heutigen Credit Suisse) und liess in den 1870er-Jahren den Gotthardtunnel bauen − damals der längste Eisenbahntunnel der Welt.
Die unternehmerischen Initiativen des Pioniers und Patrons förderten die Forschung, schafften Arbeitsplätze, erhöhten die Steuereinnahmen und trugen so zum Wohlstand der Bevölkerung bei. Die Auswirkungen von Eschers Taten waren und sind nachhaltig. Sie zeigen beispielhaft auf, dass nachhaltiges Denken immer langfristig orientiert ist (wobei langfristiges Denken nicht immer nachhaltig sein muss).
Ein weiteres Beispiel für das ESG-Engagement der Credit Suisse ist das Bekenntnis zu den sechs Principles for Responsible Investment (PRI) der Vereinten Nationen. Die Credit Suisse gehörte 2005 zu den Erstunterzeichnern der Leitlinien. Dabei handelt es sich um ein freiwilliges, von Investoren initiiertes Rahmenwerk, das hilft, ein besseres Verständnis für die Bedeutung von Nachhaltigkeit zu entwickeln und ESG-Kriterien in Anlageentscheidungen miteinzubeziehen.
Für das ESG-Investing sprechen zunächst einmal das Momentum und die Breitenwirkung ESG-bezogener Eigenschaften. Sie lassen sich denn auch in allen fünf Supertrends der Credit Suisse wiederfinden − von der neuen Wertewelt der Millennials und den Bedürfnissen der Silver Economy über die unzufriedenen Gesellschaften in einer multipolaren Welt bis zu den Chancen der Digitalisierung und dem Investitionsbedarf bei der Infrastruktur.
Es gibt jedoch 7,6 Milliarden weitere Gründe, Anlageentscheide am ESG-Rahmen auszurichten. Auf schätzungsweise 7,6 Milliarden beläuft sich nämlich die derzeitige Weltbevölkerung. Und jeden Tag kommen rund 230 000 Menschen hinzu. Dies auf einem Planeten, der für derartige Bevölkerungsdimensionen nicht vorbereitet ist und ohne grundlegende Weichenstellungen auf (weitere) regionale Katastrophen zusteuert.
"Alfred Eschers unternehmerische Initiativen zeigen auf, dass langfristiges Denken immer nachhaltig ist."
Eine solche Weichenstellung hat die UNO-Generalversammlung im September 2015 mit der Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vorgenommen. Die Bekämpfung der Armut und der gesellschaftlichen Ungleichheiten werden als grösste Herausforderungen bezeichnet. Ihnen will die Agenda 2030 mit den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) begegnen.
Richtigerweise geht die Agenda 2030 davon aus, dass die SDGs nur zusammen mit der Privatwirtschaft erreicht werden können. Privatwirtschaftliche Aktivitäten, Investitionen und Innovation werden als «wichtige Motoren der Produktivität, eines inklusiven Wirtschaftswachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen» bezeichnet. In der Beurteilung des schweizerischen Wirtschaftsdachverbands economiesuisse liegen die SDGs im eigenen Interesse der Wirtschaft: «Wo Armut schwindet und Rechtssicherheit wächst, wachsen Märkte. Dies führt zu Wohlstand, Frieden durch Handel und Investitionen.»
Finanzielle Integration
Höhere Bildung
Naturschutzfinanzierung
Faire Landwirtschaft
Soziale Unternehmen
Quelle: Unternehmerische Verantwortung, Bericht 2017 der Credit Suisse, Seite 34