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«Roboter und Menschen sind sehr komplementär»

Zur Lösung gut strukturierter Probleme sind Roboter den Menschen heute schon in vielen Bereichen überlegen. So können Roboter beispielsweise Landwirtschaftsflächen kontinuierlich überwachen, um Wasser, Dünger oder Pestizide optimal einzusetzen.

23. Mai 2019

Interview mi Experten: Roland Siegwart und Filippo Rima

Viele Unternehmen, die solche und ähnliche Technologien beherrschen, schaffen messbaren Mehrwert und sind somit auch für Anleger interessant. Geht es jedoch um komplexe Abläufe oder um menschliche Interaktionen, sind Roboter noch nicht brauchbar.

Herr Prof. Dr. Siegwart, wie konnte sich die Schweiz zu einem globalen Schmelztiegel der Robotik entwickeln?

Roland Siegwart: Robotik ist eine Systemtechnologie, die Präzisionsmechanik, Sensoren, Aktoren und Intelligenz in einer komplexen Maschine vereint. Die Schweizer Wirtschaft und Forschung hat in all diesen Bereichen eine lange Tradition, auf die die Forschungslabors der Universitäten aufbauen konnten. Über Rekrutierungen von Professoren und Mitarbeitenden in der Robotik an der ETH Zürich und École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) und dank verschiedener Schwerpunktprogramme wie dem NCCR Robotics, dem NCCR Digital Fabrication oder dem Wyss Zurich hat sich ein weltweit einmaliger Schmelztiegel für ausgezeichnete Roboterforschung, Technologietransfer und Start-ups entwickelt.

Konkurrenz belebt das Geschäft − gilt dies auch unter den Universitäten in der Robotikforschung?

Roland Siegwart: Wissenschaftler sind ehrgeizig und lieben den Wettbewerb. Wie Spitzensportler möchten sie immer die Ersten und Besten sein, was Innovationskraft beflügelt. Aber sie tauschen sich auch sehr intensiv aus. Mit der ETH Zürich und der EPFL hat die Schweiz nicht nur zwei der führenden, sondern auch zwei der international am besten vernetzten Universitäten der Welt.

Mit welchen Universitäten oder Forschern pflegen Sie den intensivsten Austausch?

Roland Siegwart: Ich habe mit allen wichtigen Robotikforschenden sehr gute Kontakte. In meinem Labor vereinen wir über 20 Nationalitäten. Einen intensiven Austausch haben wir zum Beispiel mit dem MIT, der University of Sydney, dem Caltech und dem CSIRO in Brisbane. Über europäische Projekte kooperieren wir mit der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Universität Neapel, der RWTH Aachen, der EPFL und vielen mehr. Mit Firmen wie ABB, Microsoft, Huawei oder Intel haben wir verschiedene Forschungsprojekte.

"Unsere Partnerschaft mit der ETH verschafft uns Zugang zu Forschungsprojekten oder Spin-offs, die finanzielle Mittel benötigen. Gerade Investitionen in Spin-offs können für unser Asset Management sehr interessant sein." Filippo Rima

Credit Suisse Asset Management stiftet eine Professur an der ETH Zürich im Bereich Robotik. Wie wichtig sind solche Partnerschaften?

Roland Siegwart: Solche Partnerschaften sind sehr wichtig. Die Unterstützung der Credit Suisse ermöglicht uns, die weltweite Stellung der ETH als führende Universität in der Robotik auszubauen. 
Filippo Rima: So wie vor über 160 Jahren die ETH und die damalige Schweizerische Kreditanstalt (heute Credit Suisse) praktisch zeitgleich gegründet wurden, um den Gotthardtunnel zu bauen, braucht es auch heute Partnerschaften, um zukunftsträchtige technologische Entwicklungen wie die Robotik voranzutreiben. Wir sind stolz, einen Beitrag zu leisten, damit die Universität ihre Spitzenposition weiter ausbauen kann.

Welche Vorteile bringt Ihnen die Partnerschaft, Herr Rima?

Filippo Rima: Sie bildet eine ideale Basis für den laufenden Austausch von Know-how und verschafft uns Zugang zu Forschungsprojekten oder Spin-offs, die finanzielle Mittel benötigen. Gerade Investitionen in Spin-offs können für unser Asset Management sehr interessant sein. Ich denke da an Aktienfonds, die in ausgewählte Themen wie die globale Automatisierung investieren. Da spielt die Robotik eine Schlüsselrolle.

Das Lab

Roboter sind sozusagen in der Industrie gross geworden. Wie entwickelt sich das Segment der Industrieroboter, Herr Rima?

Filippo Rima: Nach Angaben der International Federation of Robotics wurden 2017 über 380’000 Industrieroboter abgesetzt. Der Markt dürfte auch in den nächsten Jahren zweistellig wachsen und so zur Wettbewerbsfähigkeit ganzer Wirtschaftszweige beitragen. Industrieroboter stossen jedoch an technologische Grenzen. Sobald die Produktionsabläufe weniger strukturiert sind und die Produkte schnell wechseln, sind die heutigen Industrieroboter am Anschlag. Sie können nicht selbst neue Prozessschritte lernen oder sich sich selbstständig an neue Gegebenheiten anpassen. 

Was bedeutet dies, Herr Prof. Dr. Siegwart?

Roland Siegwart: Roboter müssen flexibler und «intelligenter» werden, damit sie sich an neue Umstände anpassen können. Sie werden vermehrt mit Kameras und anderen Sensoren bestückt, um Situationen zu analysieren und entsprechend zu reagieren. Damit können Roboter auch für die Automatisierung von kleinen Losgrössen eingesetzt werden und mühsame Arbeiten vom Menschen übernehmen. Dieser Schritt ist aber sehr komplex, und es gibt noch viele Herausforderungen, die gelöst werden müssen. 

Stecken Dienstleistungsroboter noch in den Kinderschuhen?

Roland Siegwart: Das kann man so sagen. Es sind zwar die Roboter, die unsere Autos bauen, aber haben Sie schon einen Roboter gesehen, der Ihr Auto reparieren kann?

Für die nächste Generation von Industrierobotern und die Dienstleistungsroboter benötigen wir neue Technologien, die eine umfassende Wahrnehmung und Analyse der Umgebung und eine taktile Interaktion ermöglichen. Was uns Menschen oft einfach erscheint, wie das Abräumen des Tisches nach dem Essen, ist für Roboter heute und in den nächsten Jahren noch undenkbar. Auf der anderen Seite können Roboter in der Produktion Teile im Submillimeterbereich platzieren, was uns Menschen ohne entsprechende Hilfsmittel nicht möglich ist. Die Zukunft gehört daher den kollaborativen Robotern: Der Mensch übernimmt die spannenden Aufgaben, wo Verständnis, Kreativität, Taktilität und Interaktivität im Vordergrund stehen, und der Roboter übernimmt die repetitiven Aufgaben, wo es auf Präzision und Wiederholbarkeit ankommt.

Anymal der Musterhund
Vierbeinige Roboter, wie sie das junge ETH-Spin-off-Unternehmen Anybotics herstellt, sind zweibeinigen Modellen klar überlegen. Sie kommen auch in unwegsamem Gelände voran und können Treppenstufen überwinden. Der rund 30 kg schwere «Robotic Dog» lässt sich etwa zur Erfassung von Messwerten auf Ölplattformen, zur Terrainvermessung oder für Rettungsaktionen einsetzen. Anymal eignet sich auch als folgsamer Begleiter auf Spaziergängen oder kleinen Exkursionen.
anybotics.com

Welche Lerneffekte werden Dienstleistungsroboter in den nächsten Jahren erzielen?

Roland Siegwart: Die erste Voraussetzung für Dienstleistungsroboter ist eine zuverlässige und robuste Navigation, das heisst, der Roboter muss selbst Pläne von seiner Umgebung erstellen, sich darin lokalisieren und sich kollisionsfrei und zielgerichtet bewegen können. In diesem Bereich wurden in den letzten Jahren sehr viele Fortschritte gemacht.

Roboter können heute mit Kameras und Laser Pläne aufbauen und sich dann relativ zuverlässig bewegen. Es geht jetzt darum, diese Technologien in den nächsten drei bis fünf Jahren industrie- und alltagstauglich zu machen, damit sie in autonomen Fahrzeugen, Putzrobotern oder Drohnen eingesetzt werden können.

ETH Zürich:Robotik-Professur

Herr Rima, warum sind Roboter auch ein Thema für Anleger?

Filippo Rima: Da die Kosten für Technologien, die in automatisierten Systemen zur Anwendung kommen, stetig sinken, kommen Roboter zunehmend auch in Bereichen des täglichen Lebens zum Einsatz.

Immer häufiger sind Roboter in Geschäften, Restaurants und Büros anzutreffen. Die Automatisierung hat zudem in Krankenhäusern und bei Regierungen genauso Einzug gehalten wie in unseren Autos, Zügen und Flugzeugen und sogar bei uns zu Hause. Aus Sicht der Anleger schafft nicht nur der verstärkte Einsatz von Robotern in der Industrie, sondern auch die Zunahme der Automation in vielen anderen Wirtschaftszweigen langfristige Anlagechancen. In einer Welt, in der das globale Wachstum tendenziell abnimmt, sind die Anleger an strukturell wachsenden Bereichen immer mehr interessiert.

Wie finde ich als Anleger die richtigen Unternehmen?

Filippo Rima: Es ist nicht einfach, die Unternehmen mit dem höchsten Wachstumspotenzial zu identifizieren, zumal sich dieser Markt sehr dynamisch entwickelt. Da viele spezialisierte Unternehmen nicht kotiert sind und nur zurückhaltend informieren, ist es für «normale» Anleger sehr schwierig, die besten Opportunitäten zu finden. Kommt dazu, dass die Produkte immer komplexer werden und ihre Beurteilung viel Spezialwissen und Erfahrung erfordert. Hier sind von Spezialisten verwaltete Fonds klar im Vorteil gegenüber individuellen Investoren.

"Roboter ermöglichen in naher Zukunft eine viel nachhaltigere Landwirtschaft, die Ressourcen wie Dünger oder Wasser optimal einsetzt und Pestizide präzise dosiert." Professor Roland Siegwart

Welche Faktoren limitieren die rasche Verbreitung von «Deep Learning Robots»?

Roland Siegwart: Unter «Deep Learning» werden üblicherweise lernfähige Algorithmen verstanden, die unser heutiges Verständnis des Hirns grob und natürlich noch sehr eingeschränkt abbilden. Dabei werden über ein neuronales Netzwerk und viele Übungsbeispiele nichtlineare Funktionen gelernt, zum Beispiel, welche Region eines Bildes eine Strasse oder ein Feld darstellt. Bei eindimensionalen Problemen, z. B. der Analyse von medizinischen Bilddaten, konnten in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht werden. Computer können heute Krebsgewebe in Bildern zuverlässiger erkennen als Menschen. 

Und wie sieht es bei den mehrdimensionalen Problemen aus?

Roland Siegwart: Das mehrdimensionale Erlernen von komplexen Zusammenhängen benötigt Millionen von Lernbeispielen und um Dimensionen grössere Rechenleistungen. Die heutigen Konzepte von Deep Learning können das nicht leisten. Weiterhin benötigt es für das Lernen immer eine Zielvorgabe, deren Definition für komplexe Abläufe sehr schwierig wird. Deep-LearningAlgorithmen sind heute noch nicht viel mehr als Programme, die die Optimierung und Analyse von grossen Datenströmen ermöglichen. So erlaubt Deep Learning zum Beispiel die Identifikation von Krebsgewebe (Output) auf der Basis von Bildern (Input). Darin sind Computer besser als wir Menschen, weil sie viel schneller auf grosse Datenmengen zugreifen und sie verarbeiten können. Heute ist die Künstliche Intelligenz (KI) aber noch sehr eingeschränkt in ihren Fähigkeiten. Daher ist es sehr gewagt, von KI-Systemen, die strukturierte und enge Probleme lösen, auf Robotersysteme, die sehr komplexe und multimodale Probleme unseres täglichen Lebens angehen sollten, zu extrapolieren.

Ohne massive Fortschritte in der Landwirtschaft und in der Verteillogistik bleibt die Unter- und Mangelernährung grosser Teile der Weltbevölkerung bestehen. Wie können Roboter zur Linderung dieses Problems beitragen?

Roland Siegwart: In der Landwirtschaft besteht ein sehr hohes Potenzial für Roboter. Roboter können Felder kontinuierlich überwachen und sofort eingreifen, etwa wenn mehr Wasser, Dünger oder die Bekämpfung von Schädlingen nötig ist. Dies ermöglicht in naher Zukunft eine viel nachhaltigere Landwirtschaft, die Ressourcen wie Dünger oder Wasser optimal einsetzt und Pestizide präzise dosiert. Es ist zu erwarten, dass mit einem Bruchteil der Pestizide der gleiche Effekt erzielt oder ein grosser Teil der Schädlingsbekämpfung rein «mechanisch» erledigt werden kann. Heute gehen ca. 30% der Nahrung schon auf dem Feld verloren und weitere 30% in der Verteilung und Lagerung.

Es ist bewiesen, dass Roboter von Menschen lernen können, doch können Menschen auch von Robotern lernen?

Roland Siegwart: Heute können Menschen im täglichen Leben kaum etwas von Robotern lernen. Sie können aber eine optimale Zusammenarbeit anstreben, denn Roboter und Menschen habe sehr komplementäre Fähigkeiten: Roboter ermüden nicht, können sehr präzise Bewegungen ausführen und grosse Lasten tragen. Menschen sind unschlagbar, wenn es um die Analyse von komplexen Systemen, die Interaktion mit Mitmenschen oder die Generierung von neuen Ideen geht.

Filippo Rima (lacht): Ich komme zum Schluss, dass wir sehr wohl etwas von Robotern lernen können. Disziplin, Fleiss, Präzision und Belastbarkeit sind ja Tugenden, von denen auch wir Menschen manchmal etwas mehr brauchen können.

Professor Roland Siegwart

Roland Siegwart (1959) ist seit Juli 2006 ordentlicher Professor für Autonome Systeme an der ETH Zürich sowie mitbegründender Co-Direktor des Wyss Zurich. Von Januar 2010 bis Dezember 2014 fungierte er als Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen im Führungsgremium der ETH. Er sitzt im Verwaltungsrat mehrerer Firmen, darunter Komax und NZZ. Roland Siegwart erhielt 1983 sein Diplom in Maschinenbau und 1989 seinen Doktortitel an der ETH Zürich. Er baute ein Spin-offUnternehmen auf, war zehn Jahre lang Professor an der EPFL (1996– 2006) und Gastforscher an der Stanford University und am NASA Ames. Das Forschungsinteresse von Roland Siegwart gilt der Entwicklung und Steuerung intelligenter Robotersysteme für komplexe und hochdynamische Umgebungen. Er ist Mitbegründer mehrerer Start-upUnternehmen.

Filippo Rima

Filippo Rima ist als Managing Director in der Division International Wealth Management in Zürich tätig. Er ist Leiter Equities im Bereich Asset Management. Filippo Rima erhielt sein Diplom als Bauingenieur 1996 an der ETH Zürich und sein Diplom in Rechnungswesen und Finanzen 1998 an der Universität St. Gallen.

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